Kooperative Pflege oder Stressarme Maßnahmen beim Tierarztbesuch

  • Aus dem Englischen cooperative care und low stress handling habe ich es übersetzt. Mir ist die korrekte Terminologie auf Deutsch dafür nicht bekannt.


    Es wurde ja in letzter Zeit zum Glück immer bekannter, dass man viel für seinen Hund tun kann, wenn man konkret "sich behandeln lassen" mit seinem Hund trainiert.


    Wirklich ganz hervorragend und für mich nicht mehr wegzudenken. Für alles brauchbar. Krallen knipsen, Zecken ziehen, Ohren und Augentropfen geben, bürsten, baden, fönen, auf Tischen stehen/liegen und sich begucken und begrapschen lassen. Alles aufgebaut auf der freiwilligen Mitarbeit des Hundes. Freiwillg bedeutet gemeinhin, dass der Hund jederzeit "aussteigen" kann.


    Bis wohin funktioniert das?


    Bis Schmerz ins Spiel kommt. Sobald Schmerz ins Spiel kommt, riskieren wir je nach Wesen des Hundes und Stärke des Schmerzes, dass unser schön aufgebautes und konditioniertes Training korrodiert. Man kann es im Prinzip so sehen, dass die Erwartungshaltung des Hundes auf etwas Angenehmes (Belohnung) sich augenblicklich umkehrt. Plötzlich ist die Erwartung nicht mehr Belohnung, sondern Bestrafung (Schmerz).


    Daher ist die "Kooperative Pflege", die auf der Kooperation des Hundes basiert, für härtere Behandlungen beim Tierarzt oder Zuhause nicht unbedingt geeignet.


    "Nicht unbedingt" bedeutet, wie bereits erwähnt abhängig vom Wesen des Hundes und der Stärke des Schmerzes. Da die Kooperative Pflege darauf basiert, dass der Hund vertrauensvoll freiwillig ein Verhalten zeigt, dieses Verhalten aber u.U. völlig unerwartet mit einer harten Strafe belegt wird, dem Schmerz, ist ungefähr so, wie wenn man seinem Liebsten einen Kuss geben will und die gespitzten Lippen entgegenstreckt und dann vom Liebsten eine schallende Ohrfeige bekommt. Nicht gut fürs Vertrauen und nicht gut für das Training.


    Ja also was soll man dann sonst machen? Haben wir vor kurzem schon besprochen aber in der heutigen Zeit wird das oft vergessen:


    Sogenannte "Stressarme Maßnahmen", man könnte auch genauer schreiben Zwangsmassnahmen. D.h. die Freiwilligkeit wird gestrichen, der HH übernimmt komplett die Führung und Entscheidung.


    Stressarm bedeutet, dass man durch die weise Gestaltung der Situation den Stress so minimal wie möglich hält. Z.B. durch vorherige Beruhigungsmedikation und Vorbereitung des Personals beim Tierarzt.


    Zwang bedeutet, der Hund MUSS bestimmte Dinge über sich ergehen lassen und hat keine Option zum Aussteigen, es bedeutet auch, dass der Hund höchstwahrscheinlich körperlich stark eingeschränkt werden muss, daher womöglich auch Maulkorb tragen muss.


    Auch das kann man üben und man sollte es auch. Mit dem Hund üben sich zwingen zu lassen, mit dem Hund üben, dass er superbeschissene Situationen überstehen kann.

  • Ihr wisst warum ich das schreibe. Axel war immer ein 1er Schüler beim Tierarzt, das ist jetzt vorbei. Nicht mal mehr impfen. Ein Kampf mit einem Tiger wäre leichter gewesen vor ein paar Tagen beim Tierarzt.


    Ich musste Axel die Tollwut Spritze zuhause geben X/

  • Erst habe ich den Artikel gar nicht gelesen, da ich dachte jetzt kommt wieder der Spruch, man könnte mit dem richtigen Training jeden Hund TA freundlich erziehen. Stimme dem Artikel zu.

    Meine beiden finden TA grundsätzlich sch... steigen aber trotzdem freiwillig auf den Tisch und können behandelt werden, ich halte sie mit beiden Händen am Halsband fest und gut ist. Winden oder schnappen wird gar nicht erst versucht, in bestimmten Situationen kommt halt trotzdem noch ein Maulkorb drauf.

    Meine alte Malihündin war wohl der einzige perfekte TA Hund, da sie ständig etwas hatte, war das auch gut so. Wie oft wurde ein eingerissener Ballen getackert, selbst mit der Taschenlampe konnte die TÄ im Rachen nach Verletzungen suchen.

  • Man muss das Rad nicht dauernd neu erfinden. Zum einen sollte ein Hund möglichst von Welpe an an alle Pflegemaßnahmen gewöhnt werden. Wozu gehört dass er Zähne und Gehörgänge kontrollieren und sich überall anfassen lässt (auch und besonders an den Pfoten; die meisten Bissverletzungen in Tierheimen erfolgen im Zusammenhang mit dem Anfassen bzw. Händeln der Pfoten), man das Krallensschneiden übt und sich der Hund von seinem Halter in alle möglichen Positionen bringen und in diesen auch für eine Weile festhalten lässt. Dann ist Impfen, den Hund abhören, Blut abnehmen usw. auch kein Problem beim Tierarzt. Und ja, das trainiert man natürlich über positive Konditionierung. Und nennt sich auch "Medical Training".


    Was dann noch hinzu kommt nennt sich schlichtweg "Gehorsam". Und ja, irgendwann muss ein Hund auch mal lernen dass er nicht nur "darf", sondern auch mal "muss", und er bestimmte Sachen nicht selbst zu entscheiden hat. Auch wenn es beim Tierarzt mal weh tun sollte.


    Was man auch mit jedem Hund möglichst von klein auf trainieren sollte ist das Tragen eines Maulkorbes. Das gehört für mich zum "Medical Training" mit dazu. Denn die Berufsgenossenschaft schreibt in Bezug auf den Unfallschutz vor dass Tierärzte, Tiermedizinische Fachangestellte und Tierpfleger in Tierkliniken und -praxen stationär aufgenommene Hunde nur dann untersuchen und behandeln dürfen wenn diese einen Maulkorb tragen. Blöd für einen Hund wenn er dann in einer für ihn derartig ungewohnten und somit strassbelasteten Situation zusätzlich noch zum ersten Mal in seinem Leben einen Maulkobt tragen muss.


    Denken darf sich mein Hund beim Tierarzt was er will. Machen muss er aber das was ich ihm vorgebe... Und ist er zusätzlich mit einem Maulkorb gesichert kann nicht viel passieren. Versucht er damit irgendwelche Spässchen, dann bekommt er eine auf's Horn. Nicht weil er schlechte Gefühle gegen den Tierarzt hegt, die darf er wegen mir haben. Sondern weil er nicht still hält obwohl ich ihm das so aufgetragen habe. Und ist er brav gibt's dafür 'nen Keks.

  • Aus irgendeinem Grund nennt man es in Deutschland "medical training" in englischsprachigen Ländern eher "cooperative care training" oder "vet training". Aber okay, es gibt ja auch "Handy" und "mobbing" oder "public viewing"8o


    "medical training" (medical detection dog) ist eher für Hunde, die z.B. als Diabetikerwarnhunde oder Epilepsiewarnhunde trainiert werden.


    Es geht nicht um "das Rad dauernd neu erfinden" sondern darum, Leuten, die nicht viel Erfahrung haben, Hinweise zu geben und aufzuklären.


    Was ich sagen wollte, ist eben das, was wir hier zum Glück ja alle schon festgestellt haben, nur auf freiwilliger Basis geht die Behandlung beim Tierarzt oft nicht und es liegt eben nicht nur daran, dass jemand zuhause keine Übungen gemacht hätte oder sogar den Hund von klein auf Tierarztbesuche trainieren hat lassen.


    Überall anfassen lassen, Behandlungen zulassen oder sich auch gegen den Willen festhalten lassen ist die eine Sache zuhause und eine andere Sache beim Tierarzt. Mit Hunden die sich grundsätzlich nicht gerne von fremden Menschen anfassen lassen, ist man einfach limitiert.


    Man kann das alles trainieren, ja, und Hunde lernen natürlich auch sich von Fremden anfassen zu lassen, werden sogar freundlich und zutraulich. Das Bild ändert sich schlagartig, wenn der Hund in einer aus seiner Sicht, leib- oder lebensbedrohlichen Situation ist. Dann ist ALLES Training über Bord. Auch jegliches Gehorsamstraining.


    Ich wollte die Leute dazu anregen, mit ihren jungen Hunden speziell das "gezwungen werden" zu trainieren. Festhalten und Stillhalten auch wenn der Hund nicht will. Gehorsam reicht nicht und Leckerli reicht ebenfalls nicht.


    Ich schreibe meine Erfahrung mit einem von klein auf, durch und durch für Tierarztbesuche trainierten Hund, zuhause UND beim Tierarzt trainiert, UND grosser Gehorsam. Ich wünschte aber ich hätte mehr Augenmerk auf das Anwenden von Zwang gelegt aber mehr als ein normales Stillhalten verlangen, und darauf zu bestehen, dass etwas ausgehalten werden MUSS, habe ich wohl nicht gemacht, allerdings hätte ich solche Situationen künstlich erschaffen müssen, denn Axel hat IMMER freiwillig mitgemacht und hatte darin auch grosse Geduld.


    In dem Zusammenhang muss ich auch daran denken, dass Gebrauchshunde gerne mit Aggression auf Schmerz reagieren sollen........

  • ...... Leute, die nicht viel Erfahrung haben.

    Das ist ein schlechter Ausdruck. Ich möchte das verbessern in:

    Man kann nicht ALLE Erfahrungen selbst gemacht haben, deshalb können die Erfahrungen anderer Leute vielleicht hilfreich sein.

  • Ist bei uns auch so - es wird geübt, damit der Hund kennt und weiß dass man da überall mal hinfahren muss und einiges davon auch wenn er keinen Bock hat. Dann muss er weil ich es gerade will!

    Genauso funktioniert TA - ein Stück weit hilft es, wenn der Hund mitmacht und das alles kann und kennt.

    Sehr gut aber wenn er es auch kennt mal was aushalten zu müssen😉

  • Was ich sagen wollte, ist eben das, was wir hier zum Glück ja alle schon festgestellt haben, nur auf freiwilliger Basis geht die Behandlung beim Tierarzt oft nicht und es liegt eben nicht nur daran, dass jemand zuhause keine Übungen gemacht hätte oder sogar den Hund von klein auf Tierarztbesuche trainieren hat lassen.

    Da ist ein "misslungener" Tierarztbesuch dann aber lediglich ein Symptom und nicht die Ursache. Nämlich dafür dass man versäumt hat seinem Hund die "Hausordnung" zu vermitteln, die einen normalerweise vernünftig durch's Leben bringt.


    Und sei Dir sicher, ich kenne die Situation dass sich ein Hund prinzipiell nicht von anderen Menschen anfassen lassen möchte. Corona sei Dank habe ich hier so ein Exemplar, welches aufgrund diesbezüglicher mangelnder Sozialisierung der Meinung ist dass alle Menschen außer mir gefälligst ihre Flossen bei sich zu behalten haben. Leider waren aufgrund von Verletzungen auch schon relativ viele Tierarzt-, Tierklinik- und Physiotherapietermine notwendig, inkl. "wach" Röntgen in mehreren Positionen, die ebenso kein Problem waren wie Ausstellung (auf der "Hund und Pferd" in Dortmund, mit entsprechendem Gedränge), Prüfungen und aktuell die Körung. Selbst als das Chiplesegerät bei der Prüfung erst einmal versagt hat und mein Hund leider der allererste war dessen Chip ausgelesen wurde, und das dann ein entsprechend langes Gefriemel am Hund gewesen ist. Übrigens wurde diesem Hund bisher immer ein gutartiges und natürliches Wesen bescheinigt.


    Wie gesagt, so etwas nennt sich "Hausordnung". Und das lediglich auf Tierarztbesuche zu reduzieren ist falsch. Natürlich kann jedes Tier, wenn es Schmerzen hat oder große Angst, beissen oder treten oder einen auf andere Weise angreifen. Egal wie gut es ausgebildet ist und wie gut die Beziehung ist, die man zu ihm hat. (Was der Grund ist warum Tierärzte es generell begrüßen wenn ein Hund Maulkorb beim Tierarztbesuch trägt, egal wie gutmütig er auch sein sollte.) Die Basis, dass ein Tier einem vertraut und sich auch in Situationen händeln lässt in denen es lieber eigenen Interessen nachgehen möchte oder die ihm, aus welchem Grund auch immer, unangenehm sind, ist im alltäglichen Zusammenleben immer von Bedeutung.

  • Wie gesagt, so etwas nennt sich "Hausordnung". Und das lediglich auf Tierarztbesuche zu reduzieren ist falsch. Natürlich kann jedes Tier, wenn es Schmerzen hat oder große Angst, beissen oder treten oder einen auf andere Weise angreifen. Egal wie gut es ausgebildet ist und wie gut die Beziehung ist, die man zu ihm hat. (Was der Grund ist warum Tierärzte es generell begrüßen wenn ein Hund Maulkorb beim Tierarztbesuch trägt, egal wie gutmütig er auch sein sollte.) Die Basis, dass ein Tier einem vertraut und sich auch in Situationen händeln lässt in denen es lieber eigenen Interessen nachgehen möchte oder die ihm, aus welchem Grund auch immer, unangenehm sind, ist im alltäglichen Zusammenleben immer von Bedeutung.

    Dem stimme ich voll zu!


    Das ganz oben ist nur mal wieder das allzu bliebte: "DU hast versagt, du bist zu dumm und zu unfähig um es so gottgleich machen zu können wie ich".


    Dazu passt ein spanischer Spruch: Du glaubst so lange, dass du alles kannst, bist du an den gerätst, der dich eines besseren belehrt.


    Hattest halt einfach Glück bisher, Hunde zu haben, die sich leichter händeln liessen! ;)

  • Bei Enzo war es immer schon so, dass er beim Tierarzt permanent knurrt, allerdings eher um sein Missfallen auszudrücken als zu drohen.

    Bestätigt wird diese Einschätzung bei der Chiropraktikerin, er steigt auf den Block, sie beginnt, er brummt. Es wird immer eine Pause gemacht, in der nimmt er auch freundlich Kontakt zu ihr auf. Auf weiter klettert er schnell wieder auf den Block, sie beginnt, er brummt. Außer bei ganz hartnäckigen Blockaden, merkt man ihm an wie er genießt und dann ganz gelegentlich das brummen vergisst.


    Zuhause lassen sich beide Hunde Zecken ziehen, Ohren reinigen, Krallen schneiden etc.


    Und unter Hunden sieht das Aushalten müssen ähnlich aus : Wenn Quinto nass ist meint Enzo immer noch ihn reinigen zu müssen, das sieht dann so aus, dass Quinto still hält und die Prozedur über sich ergehen lässt wenn der ältere ihn abschleckt.

  • Unser Züchter hat uns gerade den letzten Punkt unter dem Namen "pflegende Dominanz" beschrieben.


    Wenn die Hundemutter ihre Welpen sauber schleckt, fragt sie auch nicht, ob Welpi da grad Bock drauf hat.

    Daher sagte unser Züchter immer: "Machen. Die halten das aus."

    (Also Bürsten, Pfoten untersuchen, Puls fühlen, auch mal festgehalten werden, etc. pp.)


    Ich finde das immer ganz plausibel, sich mal vor Augen zu halten, wie Hunde untereinander mit einander umgehen und dass sie so einem Umgang entsprechend auch gewachsen sind, weil das in ihrer Natur liegt.

    Wir trauen denen, glaube ich, viel zu wenig zu in dieser Hinsicht.

  • Ich kenne erfahrene Trainer mit Malinois, die grosse Probleme mit dem Tierarztbesuch haben. Hund ziemlich linkslastig und fremde Menschen sind ätzend. Der Hund ist noch jung und man tut alles um dem entgegenzuwirken, übt an der Freundlichkeit zu Fremden usw. usw. aber ich fürchte, dass das nie ein Zuckerschlecken beim TA sein wird.


    Hat man ja bei Pferden auch. Einige lassen sich alles machen, sogar wenn es weh tut, einige kann man gut für Behandlungen trainieren und dann gehts recht gut und andere brauchen einfach immer und für jeden Scheiss die Nasenbremse.

  • Danke! Das ist ein guter Ausdruck!!


    "Pflegende Dominanz"

  • Bei uns hatte bisher noch nie ein Hund wirkliche "Probleme" mit dem Tierarzt und dann kam Da Vinci 😅


    Anfangs hatte auch er keine Probleme beim Tierarzt, aber das änderte sich mit der beidseitigen OP aufgrund seiner schweren ED.


    Irgendetwas hat das mit ihm gemacht und seitdem gebärdete er sich wie ein wütendes Wer-Wildschwein, sobald man ihn zu sehr in einer Position "fixierte".


    Es hat lange gedauert ihn nun zumindest wieder soweit zu haben, dass er in diesen Situationen zwar knurrt wie ein Berserker, aber zumindest nicht mehr aktiv nach vorne geht.


    Interessanterweise klappt ein "freistehender" Tierarztbesuch hingegen sehr gut.


    Leider ist das nicht immer möglich 🤷‍♀️