Was ist für euch Gewalt in der Hundeerziehung?

  • Hat sie auf dem Hundeplatz auch schon "auf Tuchfühlung" mit anderen Hunden gehen müssen, oder ist es auf dem Hundeplatz eher so, dass alle Hunde kontrolliert sind und ihre eigenen Übungen machen, nicht primär auf andere Hunde focussiern etc?


    Beim Leinenreaktivitätstraining ist der am meisten unterschätzte Teil der, dass der Hund wirklich unter keinen Umständen die Reizschwelle überschreiten darf wenn man mit Gegenkonditionierung arbeitet.


    Oft liegt es (mit) daran, dass es schwierig ist den Hund gut zu lesen um wirklich sicher sein zu können ob das schon die nötige Distanz ist. Daher lieber mehr Distanz einrechnen als man eigentlich glaubt.


    Ab und zu mal testen "ob es jetzt schon klappt" ist kontraproduktiv, denn "Ausrutscher" werfen den Hund wieder um Lichtjahre zurück und der Effekt ist ähnlich wie bei variabler Verstärkung einer Übung. Nämlich dass dies ein Verhalten extrem festigt.


    Man kann auch auf andere Art an der Leinenreaktivität arbeiten, zum Beispiel mit Blockade oder Korrektur etc, aber dann sollten diese Reize/Einwirkungen stärker sein als der auslösende Reiz.


    Wenn Training, so wie du beschreibst, auf dem Platz funktioniert um ihren Focus auf dich oder die Belohnung zu richten, warum verwendest du dies nicht beim Gassi gehen? Oder tust du wahrscheinlich schon. Dann vielleicht mehr Abstand.

  • Ich würde eher gezielt Hundebegegnungen suchen. Und zwar mit möglichst vielen verschiedenen Hunden an möglichst verschiedenen Orten. Ganz einfach um eine Gewöhnung herbei zu führen. Der Hund kann nichts lernen, wenn die entsprechenden Reize vermieden werden.

    Ich war mit dem Sack dazu früher ganz gezielt in beliebten Gassigebieten unterwegs.

    Genau das kann dir aber auch zum Verhängnis werden, wenn du einen Hund hast, den jede weitere Begegnung immer mehr stresst, immer mehr anheizt, die Sache immer negativer festigt und dich ständig zurückwirft.


    Da meidest du Begegnungen so gut wie möglich, festigst korrektes Verhalten erst, bevor du diese Begegnungen zulässt bzw. dich allmählich mit dem Hund da ran tastest, damit er immer in einem Zustand bleiben kann, wo er gewünschtes Verhalten zeigen kann. Erst DANN suchst du Begegnungen gezielt und häufig, aber so lange sich durch immer wiederkehrende Situationen nur Stress und eine negative Tendenz abzeichnet, meidest du die zu Beginn des Trainings.


    Wir sprechen hier nicht von einem Menschen mit Spinnenphobie, der durch eine knallharte Konfrontationstherapie übermorgen mit Vogelspinnen spielt. Hunde funktionieren da eben doch anders und "Gewöhnung" ist nicht so einfach, wie man sich das oftmals wünscht bzw. vorstellt.

  • Axman


    DANKE, DANKE und nochmals: DANKE!!! <3


    Genau das! Das ist der fehlende Text in meiner Antwort, die ich grade tippselte und gerne noch mit eingefügt hätte, hätte ich die Worte dafür gehabt ^^

  • Danke für Dein Feedback und Deine Anregungen.


    Auf dem Hundeplatz geht Chia mit anderen Hunden auch auf Tuchfühlung und sie nimmt auch immer am abschließenden Spiel auf dem großen Platz teil - wobei ich sie da auch immer mal wieder rausrufen muss, weil sie immer wieder anfängt, andere Hunde hüten zu wollen.


    Ich denke tatsächlich auch, dass Du Recht hast und das zu frühe Testen ob es klappt, uns immer wieder in einen Rückschritt katapultiert. Darum war meine Überlegung auch, dass ich zufällige Hundebegegnungen eher meide, bis ich Chia wirklich zuverlässig auf mich focussieren kann.


    Das Blockieren habe ich probiert ... aber mein Gefühl ist, dass sie dabei eher hochfährt und es ihr sehr schwer fällt, dann die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Irgendwann klappt das zwar, aber dann sind wie auch Beide mental erschöpft.


    Beim sonstigen Training klappt das körpersprachliche Blockieren ganz hervorragend. Beispielsweise beim Fuß gehen, wenn sie zu weit vor kommt. Da reicht es inzwischen, wenn ich meine Körperspannung kurz erhöhe und sie nimmt wieder ihre Position ein und richtet den Blick interessiert auf mich (und ja, dann fällt natürlich ein Keks in den Rachen ;) )


    Aber Chias Stresspegel bei Hundebegegnungen ist dann auch so hoch, dass sie für Leckerchen oder ihren Ball nicht mehr empfänglich ist. Ich habe auch jede Sekunde des nicht-Pöbelns versucht zu markern und gehofft, dass sie das nicht-Pöbeln positiv verknüpft, aber meine Vermutung ist, dass in so einem Moment keine Verknüpfung gespeichert werden kann, weil sie dafür nach dem Markern zur Ruhe kommen müsste, damit ihr Gehirn das Erfahrene verarbeiten kann.


    Darum erwäge ich nun doch eher die Bärenumarmung, weil ich sie damit zumindest nicht noch mehr hochfahre und dann sofort markern kann, wenn sie nicht bellt und die Ruhe aus der Bärenumarmung ihr dann Raum fürs Abspeichern der positiven Bestärkung gibt.


    Die Hundebegegnung ist aber auch zum Glück wirklich unsere letzte größere Baustelle, denn Jogger, Stockschwinger und jagbares Wild kann sie inzwischen sehr entspannt betrachten und dabei ist sie dann auch für die Belohnung empfänglich (weil sie eben auch nicht gestresst ist).


    Ich arbeite natürlich zuhause und unterwegs auch noch an der Impulskontrolle und hoffe, dass durch die inzwischen wirklich richtig gute Leinenführigkeit die Hundebegegnungen kontrollierter verlaufen können. Wir waren ja quasi schon so weit, dass sie sich hinsetzte, zwar bellte, aber sitzen blieb und immer wieder zu mir schaute - was ich markerte -, aber Jogger mit Hund, die quasi fast schon auf Tuchfühlung mit uns kamen, führte wieder zum Ausrasten und nach vorne in die Leine steigen. Da ist Chia dann auch für nichts mehr empfänglich ... außer vielleicht für die Bärenumarmung, die sie runterfährt. Die Balanceleine wäre eine weitere Möglichkeit, aber die soll ja nicht auf die Brust drücken, sondern dort nur locker pendeln. Bei einer Hundebegegnung, bei der Chia nach vorne geht, wäre das also kontraproduktiv.


    Aber ich denke, ich werde Deine Idee aufgreifen, keine Experimente herbeizuführen, solange ich mich nicht darauf verlassen kann, dass die Impulskontrolle und die Leinenführigkeit in jeder Situation so gefestigt sind, dass ich sie zuverlässig bei mir habe.


    ... nicht zu vergessen ist natürlich, dass ich mich auch verspanne, wenn die Situation eskaliert.


    Heute früh (es war noch zappendunkel) hatte ich auf unserer Morgenrunde mit den Hunden ein bisschen trainiert und verteilte gerade Belohnungen, als ich in der Ferne ein helles Lichtlein sah. Ich merkte, wie ich mich anspannte, weil ich nicht wusste, wer da auf uns zukommt. Chia wollte gerade einen Keks nehmen und in dem Moment, in dem ich das Licht anstarrte, starrte Chia ebenfalls und verweigerte den Keks ... wahrscheinlich muss ich an meiner Impulskontrolle arbeiten und löse damit das Problem. :/

  • Genau so ist es!


    Und ich als Mensch mit Höhenangst würde die auch nicht überwinden, wenn ich zur Gewöhnung einen Bungeesprung wagen würde, denn das würde vermutlich meine tief sitzende Panik vor der Höhe nur verstärken, wenn das Ohnmachtsgefühl des Falls noch dazu käme.


    Konfrontation kann das Negativgefühl durchaus noch festigen - beim Mensch und beim Hund.

  • Verbena

    Wenn sie bellt oder nicht empfänglich für Ball oder Leckerli ist, dann ist das das Anzeichen dafür, dass die Reizschwelle überschritten ist.

    Genau das ist es! Und genau darum kann sie dann auch keine positive Bestärkung mehr verknüpfen, denn dafür müsste sie zur Ruhe kommen und dann könnte sie den Zusammenhang zwischen "nicht-Pöbeln" und Markern speichern. So ist sie reizüberflutet und im Oberstübchen ist dann keiner mehr zuhause :(

  • Habe neulich ein Interview mit Turid Rugaas (Calming Signals) angehört und sie beschrieb, dass sie die Gegenkonditionierung bei manchen Hunden in einem Abstand von 300m beginnen musste.


    Sie sagte "Tja, dann ist das halt so ......wenn es 300m sein müssen. Aber am Ende klappt es bei allen"


    Ich dachte: Joah, bei euch oben in Norwegen bestimmt auch kein Problem :D :D

  • Oh ja, ich komme mit nach Norwegen, ist echt schön da, aber nur im Sommer…

    Ich habe da ja das ähnliche Problem wie Verbena, Jerry ist bei Hundebegegnungen leider auch ohne Oberstübchen unterwegs und hier in der Stadt ist es mit dem Abstand noch schwieriger…Norwegen wäre da ein Traum vom Platzangebot…

  • wahrscheinlich muss ich an meiner Impulskontrolle arbeiten und löse damit das Problem.

    da geht es dir wie mir :( . Ich sehe jemanden auf uns zukommen und befürchte schon, dass Harras den großen bösen Schäferhund markiert und versteife mich, erstarre fast zur Salzsäule. Aber ich arbeite dran. Ich gehe nach außen hin locker und entspannt in einem Bogen oder mittlerweile soger direkt an der Person vorbei. Und dann ist Harras auch entspannt. Aber sobald mein Kopfkino die Oberhand gewinnt und ich mich anspanne, habe ich wieder den Berserker neben mir :( .


    Und wie ist es, wenn fremder Hundebesuch direkt bei euch auf dem Hof aufschlägt?

  • „Immer“ (also nicht immer, aber manchmal eben), wenn ich Hunde aus der Ferne sehe, sage ich: guck mal, ein Hund! Komm!


    Und dann gehen wir zur Seite und warten ganz entspannt, bis die vorbei sind.


    Also er setzt sich dann und ich Bärenumarme ihn und für ihn ist es dadurch mittlerweile eben auch ein „oh, ein Hund, lass kuscheln“ 😂


    Manchmal hilft es Menschen in angespannten Situationen m, auszusprechen, was man sieht und tut. Kennt man oft, wenn man vor etwas Angst hat und einfach für sich sagt: ich habe gerade Angst. Und schon wird die Angst kleiner - man gibt der Emotion bzw dem Gefühl dadurch viel weniger macht. In der konkreten Situation sähe das also so aus:


    - ich sehe einen Hund (und sage das)

    - ich fordere meinen Hund zu etwas auf (und sage ihm das)

    - wir tun das, was wir in so einer Situation eben tun (und sage auch das)

    - der Hund ist weg (ich sage das)

    - wir gehen weiter (das sage ich dem Hund)


    Dabei kann man das laut vor sich hin plappern oder gedanklich zu sich selbst sagen. Das lenkt den Fokus vom Hund weg und lässt Gedanken sachlicher auf einen wirken, wenn man es so stumpf und trocken für sich selbst beschreibt.


    Dann weiß der Hund auch: ach, der/die hat’s gesehen und sagt, wir sollen jetzt zur Seite gehen.


    Man signalisiert damit unter anderem eben auch, dass man die Lage abcheckt, kontrolliert und führt und der Hund entspannen kann, da er all diese Aufgaben nicht übernehmen muss. Durch den Hinweis, dass da jemand kommt, wird er auch nicht eiskalt überrascht oder muss gar zuerst „abchecken“, was der Hund da vorne nun macht. Denn man sagt ihm ja: ich hab nen Hund gesehen und deswegen gehen wir jetzt zur Seite. Funktioniert das oft genug, weiß der Hund das auch für die Zukunft und kann sich drauf verlassen, was Sicherheit gibt und vertrauen schafft.


    Zumindest so weit die Theorie. :D

  • Genau das kann dir aber auch zum Verhängnis werden, wenn du einen Hund hast, den jede weitere Begegnung immer mehr stresst, immer mehr anheizt, die Sache immer negativer festigt und dich ständig zurückwirft.


    Da meidest du Begegnungen so gut wie möglich, festigst korrektes Verhalten erst, bevor du diese Begegnungen zulässt bzw. dich allmählich mit dem Hund da ran tastest, damit er immer in einem Zustand bleiben kann, wo er gewünschtes Verhalten zeigen kann. Erst DANN suchst du Begegnungen gezielt und häufig, aber so lange sich durch immer wiederkehrende Situationen nur Stress und eine negative Tendenz abzeichnet, meidest du die zu Beginn des Trainings.

    Genau das ist aber nicht zielführend. Wie willst Du denn korrektes Verhalten festigen wenn da keinerlei Möglichkeit von unkorrektem Verhalten besteht? Also wenn Dein Hund keine Begegnung wahr nimmt dann wird er ja wohl auch nicht pöbeln oder hochfahren, oder? ^^


    Suche Hundebegegnungen und trainiere nach deiner Methode (es gibt ja diverse Möglichkeiten Hundebegegnungen zu managen). Dabei ist wichtig, wie Axman ja schon schrieb, genug Distanz zu wahren damit der Reiz nicht zu groß ist und der Hund nichts mehr lernen kann. Also, ich sage mal, da hinten ist ein Hund, Dein Hund hat ihn noch nicht wahrgenommen. Ihr nähert Euch und plötzlich sieht Dein Hund den anderen Reiz, er bleibt evtl. auch kurz stehen um zu gucken. Dann wäre genau das der Moment (bzw. die Distanz) wo Du mit Deinem Management starten solltest. Also z.B. die Gegenkonditionierung mit Klicker. Oder Deine Fuss-Übung. Dabei kommt der andere wahrscheinlich immer näher aber wenn Du Deinen Hund gut in der Kontrolle hast (also wenn Dein Hund sich intensiv mit Dir beschäftigt und Spaß dabei hat und Du seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmst dann ist es nicht weiter tragisch wenn die anderen näher kommen. In härteren Fällen kannst Du ja dann auch die Stärke des Reizes relativ gering halten indem Du ausweichst.

  • Genau das ist aber nicht zielführend. Wie willst Du denn korrektes Verhalten festigen wenn da keinerlei Möglichkeit von unkorrektem Verhalten besteht? Also wenn Dein Hund keine Begegnung wahr nimmt dann wird er ja wohl auch nicht pöbeln oder hochfahren, oder? ^^

    Doch, es ist zielführend. Sonst könnten Hunde mittlerweile nicht mit 1m am Brummi vorbei laufen, das war vor einem halben Jahr undenkbar. Der Meter fällt ihm bei manchen Hunden wirklich sehr schwer, aber es ist möglich und bei anderen Hunden ist es gar kein Thema.


    Aber Begegnungen (und 20m Abstand ist keine „Begegnung“) muss man zu Anfang eben meiden, sich allmählich rantasten.


    Das mit dem Meter mache ich auch nur im Notfall, ich achte auf 3-5 Meter immer, weil das die Distanz ist, wo es super klappt und sich so das gewischte Verhalten festigt. Erst dadurch ist es möglich, dass wir bei fast-Nasenkontakt trotzdem gut durch die Situation kommen. Hätte ich diese Situationen aber ständig, würde uns das jedes Mal wieder weiter zurück werfen.


    Wir sind ja jetzt dabei, die bärenumarmung allmählich abzubauen, um auf 3-5 Meter auch ohne die auszukommen. Das dauert aber sehr lange und wenn man sich diese Zeit nicht nimmt, fällt man wieder zurück. Kann sein, dass wir dafür ein Jahr brauchen. Oder zwei. Egal! Setzt man sich unter Zeitdruck, ärgert man sich nur umso mehr, wenn’s schief geht und geht das ganze verkrampft an, was den Hund wieder stresst, wenn man so was wie Chia oder Brummi an der Leine hat. :D