Angst vorm eigenen Herrchen

  • Hallo miteinander,


    ich lese hier im Forum schon länger mit und habe mich jetzt entschlossen, mich mit meinem Problem mal an euch zu wenden.

    Hier sind ja doch ein paar erfahrene Hundehalter unterwegs und vielleicht habt ihr ja den ein oder anderen Tipp für mich.


    Warnung: Das wird jetzt etwas länger ;).


    Wir (das sind meine Partnerin und ich) haben letzten November ein neues Familienmitglied bei uns aufgenommen – Er hört auf den Namen Leo, war zu diesem Zeitpunkt knapp 1,5 Jahre alt und ist nicht kastriert.

    Der Vorbesitzter hat Ihn aus Zeitmangel abgegeben. Leo lebte auf dem Hundeplatz eines Schäferhund-Vereins im Zwinger. Er ist ziemlich sensibel, weshalb er wohl besonders unter den Bedingungen dort gelitten hat und sich wohl auch nicht zum Schutzhund-Training etc. eignete.

    Uns wurde gesagt, dass er sehr auf Frauen fixiert sei und Männern gegenüber eher skeptisch – Das hätte uns wohl schon eine deutliche Warnung sein müssen, dass er bisher nicht die besten Erfahrungen gemacht hat.


    Da er mir gegenüber aber direkt freundlich und aufgeschlossen war, haben wir Ihn schnell ins Herz geschlossen und wollten ihn dann nach ein paar Tagen auch einfach da rausholen und ihm ein tolles neues Zuhause geben. Er hat sich super bei uns eingelebt und hat sich in kürzester Zeit zu unserem absoluten Traumhund entwickelt…bis dann das große Problem zum Vorschein kam.


    Ca. 4 Monate lang lief alles bestens. Das einzige “Problem“ war, dass er fremden Männern gegenüber sehr skeptisch war, sich nicht anfassen lassen wollte usw. Ausnahme waren dabei seltsamerweise unsere Väter (wir haben den Eindruck ältere Männer findet er nicht so schlimm). Mir gegenüber war aber alles bestens.


    Eines Tages dann hat er (das erste und einzige Mal) einen Schuh meiner Partnerin zerlegt. Sie hat sich daraufhin aufgeregt und mit Ihm geschimpft. Da er sehr sensibel auf Zurechtweisung reagiert, hat es ihn vermutlich etwas stärker getroffen als es normalerweise der Fall wäre. Sie hat ihm den Schuh hingehalten und mehrfach laut NEIN gesagt, danach ignoriert. Dummerweise sind wir dann deswegen unmittelbar danach in Streit geraten und es gab eine energische Diskussion, die ca. 10min dauerte. Es wurde nicht geschrien oder so, aber eben doch recht laut und erbost diskutiert.


    Seitdem hat sich Leos Verhältnis zu mir leider radikal verändert. Obwohl nicht ich derjenige war der vorher geschimpft hat und er beim Streit auch nicht direkt im Mittelpunkt stand (er war zwar in der Nähe aber nicht unmittelbar dabei) hat er – so zumindest unsere Vermutung – das ganze wohl durch durch die vorhergegangene Zurechtweisung irgendwie auf sich bezogen.


    Seit diesem Tag verhält er sich mir gegenüber ängstlich bzw. extrem unterwürfig. Er duckt sich weg, geht mir aus dem weg, ließ sich von mir kein Futter geben usw. Die erste Zeit war es extrem schlimm. Ich konnte überhaupt nicht mehr mit ihm interagieren, er ist nur vor mir geflüchtet. Leider besteht das Problem jetzt nach ca. 7 Monaten noch immer. Es gibt bessere und schlechtere Phasen aber so richtig bekommen wir es einfach nicht in den Griff. Wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt trifft mich das extrem und ist für unser Zusammenleben teilweise wirklich belastend. Mit meiner Freundin verhält er sich ganz normal und ist extrem anhänglich.


    Wenn ich mit Ihm alleine war ist er anfangs permanent vor mir geflüchtet. Er ist im Haus weggelaufen sobald er mich gesehen hat und selbst Sachen die im sonst Freude bereitet haben hat er komplett abgelehnt (spielen, Leckerlies etc.) Wenn wir zu dritt waren ging es besser. Über die Monate hinweg gab es immer ein Auf und Ab was dieses Verhalten angeht. Es gab Zeiten, da war es zu Dritt eigentlich ganz normal und das Problem bestand nur, wenn ich allein mit ihm war…dann gibt es wiederum Wochen, in denen er mir wieder möglichst aus dem Weg geht, auch wenn wir zu dritt sind. Wenn ich beispielsweise von der Arbeit nach Hause komme und meine Freundin ist auch da, freut er sich total mich zu sehen…komme ich heim und er ist allein, kommt er kurz zu mir und schleicht dann wieder vor mir weg.


    Wir haben uns Anfangs auch mal mit einer Hundetrainerin getroffen. Sie geht auch davon aus, dass er eben mit Männern entsprechend schlechte Erfahrungen gemacht hat und dieser laute Streit da eben gewisse Erinnerungen geweckt hat, die er jetzt mit mir in Verbindung bringt. Das weglaufen wenn ich mit Ihm allein bin haben wir vor ein paar Monaten in den Griff bekommen. Er liegt jetzt bei mir, allerdings in der erwähnten unterwürfigen Art und ist dabei angespannt. Es ist wirklich so, dass er sich teilweise vor mir auf den Boden wirft wenn ich ihn anspreche. Ich weiß einfach nicht wie ich ihm klar machen soll, dass alles in Ordnung ist und er keine Angst vor mir haben muss. Wobei ich gar nicht weiß ob Angst hier so das richtige Wort ist. Ich habe eher das Gefühl, dass er total Unsicher ist und nicht weiß, wie er sich in meiner Anwesenheit richtig verhalten soll.


    Erstaunlicherweise bezieht sich dieses Verhalten aber nur aufs Haus. Sobald ich mit ihm raus gehe oder auch nur in den Garten, legt er nen Schalter um und ist ganz normal. Ich kann ihn knuddeln, mit ihm spielen und toben… er ist dann wie ausgewechselt.


    Wenn ich beispielsweise Urlaub habe und entsprechend viel Zeit zuhause mit ihm verbringe ist es bisher immer besser geworden.

    Als wir mit ihm eine Woche zb. In einem Ferienhaus verbracht haben war sein seltsames Verhalten wie weggeblasen.

    Nur leider fällt er sobald ich ein paar Tage wieder arbeiten bin komplett in seine alten Verhaltensmuster zurück. Wie gesagt…mal mehr, mal weniger…

    Es ist unglaublich frustrierend, dass jeder Fortschritt immer nur von kurzer Dauer ist.


    Ich könnte das ganze jetzt noch ewig weiter ausführen, da sich in den letzten Monaten natürlich unglaublich viel in der Hinsicht abgespielt hat, aber ich denke ich belasse es jetzt erstmal dabei, ist ja für den Anfang auch genug zu lesen ;).


    Vielleicht hat der ein oder Andere ja mal ähnliche Erfahrungen gemacht und kann uns ein bisschen weiterhelfen. Vielleicht spezielle Übungen/Spiele die dafür geeignet sind, Vertrauen wieder aufzubauen...


    Und falls sich das hier jetzt jemand wirklich komplett duchtgelesen hat: schonmal vielen Dank dafür! ;)

  • Vorab auch erst einmal herzlich Willkommen hier. Auch ich habe deine Ausführungen bis zum Ende durchgelesen und bin sehr betroffen. Ich denke auch, er hat einmal sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht mit einem Mann.

    Ist aber nur eine Vermutung aus der Ferne.


    Wie gut gehorcht er denn auf die üblichen Komandos (Sitz, Platz etc.)? Was mag er gerne (z. B. Suchen)? Vielleicht kannst du das dann ausnutzen und irgendwo unter Anleitung einen Kurs mit ihm belegen, ich denke da z..B. an Ralley Obedience oder Mantrailing. Etwas, was ihm wirklich Freude bereitet und was er dann zusammen mit dir regelmäßig machen kann. Ich bin aber nur Laie, keine Ahnung, ob das wirklich ein guter Tip ist.

  • Lässt es sich organisatorisch hinkriegen, dass ausschließlich DU Leo fütterst? Und zwar aus der Hand? Und das nicht nur einige Tage?

    Genau den Gedanken hatte ich auch.


    Herzlich Willkommen. Schön, dass du dir solche Mühe machst und ich wünsche euch, dass ihr euer Problem in den Griff bekommen werdet.

  • kurz vorweg ich hab da nicht genug Ahnung von, habe aber eben in ein Buch geschaut, dass sich mit Angst bei Hunden auseinander setzt.

    Dort werden auch spezielle Übungen empfohlen und es wird auch beschrieben, warum es sein kann wie du ja schreibst, dass der Hund draußen besser mit dir klar kommt. Nämlich das er mehr Freiraum/Individualdistanz zu dir hat.

    Wie gesagt das Buch: Angst bei Hunden mit Martin Rütter / Umgang mit Ängstlichen und Traumatisierten Hunden. Evtl. wäre da was für euch zu finden drin.

    Lg.

  • Guten Abend ,


    ich habe auch deine Schilderung über das Verhalten von Leo gelesen .............


    Es gibt in euerem Fall einige Varianten die möglich wären angefangen von einem Wurf aus dem man besser keinen Welpen genommen hätte, bis zur Möglichkeit von Tätlichkeiten Seitens des Vorbesitzers oder wem auch immer ihr habt einen Hund mit 17 Monaten Vergangenheit was auch immer er in diesen erlebt hat,

    es könnte ein Fall von nicht ausreichender Information und Vorbereitung auf den Hund seitens des Erstbesitzers sein (Verhaltensstörung durch nicht artgerechte Haltung eines möglicherweise triebingen Hundes).Sollte dies der Fall sein ....besteht die Möglichkeit einer Psychose und ihr solltet nicht noch weiterhin zuwarten sondern euch einen Profi zu Rate ziehen.Den Hunden ihr Gehirn und ihre Gefühle sind unseren gleich und ich würde ihn nicht noch länger in dieser für ihn misslichen Situation lassen und ihn auch nicht zum Testobjekt mit dem man alles mögliche ausprobiert was einem Freund Foren oder Bücher vermitteln ...........machen.


    Weiterhin alles Gute und viel Glück


    Gruß Armin

    2 Mal editiert, zuletzt von Odin ()

  • Hallo Leo,


    herzlich willkommen.


    Wäre es ein Mensch, würde ich sagen, dass er traumatisiert ist und durch eure laute Diskussion getriggert wurde. Nun zeigt er sowas wie Traumafolgestörungen, also Intrusionen oder Flashbacks. Wie Odin schon sagt, da sind Hunde den Menschen sehr ähnlich und jedes Trauma hinterlässt Spuren im Gehirn.


    Da sollte schon ein Fachmann ran.

  • ich vermute er ist von Männern extrem bestraft worden.

    Unser Aki, wir bekamen ihn als er schon 14 Monate alt war, hat damals (1986) auch bei meinem Vater ein ähnliches verhalten gezeigt. Er war ihm gegenüber sehr unterwürfig und unsicher. Mein Vater hat knapp 1 ,5 Jahr mit viel Liebe, Geduld und Leckerchen gebraucht und dann war Aki auch bei ihm fröhlich.


    Wir haben später, durch nachforschen erfahren, das Aki beim Vorbesitzer sehr schlecht behandelt worden war.

  • Hallo und willkommen.

    Ich habe deine Schilderung auch komplett gelesen und bin ebenfalls betroffen.

    Aus meiner langjährigen Erfahrung mit traumatisierten Tierschutzhunden kann ich dir eigentlich nur den Tipp geben zusammen mit deinem Hund zu arbeiten.

    Mein Podenco war panisch ängstlich, ebenso wie meine Podenco-Mix-Hündin. Angst, gerade vor Männern, bezog sich auf alles was älter als ca. 10 Jahre war. Ich war total überfordert und frustriert. Hatte es doch gut gemeint. Ruhige Spaziergänge und füttern aus der Hand brachten nichts. Hundeschule half bei meiner Mix-Hündin zumindest in Sachen Gehorsam und Jagdtrieb.

    Der Durchbruch kam erst als ich anfing mit ihnen zu arbeiten. Bei Jagdhunden war das gar nicht so einfach.

    Bin in einer SV-OG gelandet in der tatsächlich ein Trainer war der vernünftig und mit positiver Verstärkung arbeitete und sich sehr viel Mühe gab einen Hund der kein Schäferhund war zu verstehen. Es gab eine kleine Agility-Fun-Gruppe. Meine Hündin nahm das so gut an das sie schon ein halbes Jahr später die Begleithundprüfung schaffte und mit meiner Tochter erfolgreich Turniere lief.

    Bei dem Rüden hat das sehr lange gedauert, aber durch den Spaß am Sport hat er viel Vertrauen aufbauen können und ließ sich sogar von den meisten Männern anfassen.

    Ich musste allerdings sehr aufpassen ihn nicht zu überfordern und meinen Ehrgeiz zurück zu stellen. Das fiel mir manchmal sehr schwer weil alle anderen Fortschritte machten und wir immer wieder mit Totalausfall zu tun hatten. Letztendlich schafften wir die BH und auch er lief Turniere. Das hätte keiner für möglich gehalten.

    Heute werden viel mehr Sportarten in den Vereinen angeboten und vielleicht findest du ja etwas das du mit dem Hund zusammen machen kannst.

    Mit meiner jetzigen Hündin mache ich Rally Obedience und Hooper.

    Sie hätte bestimmt auch Spaß am Schutzhundsport, aber das wird bei uns in der OG nicht mehr angeboten. Dafür wird jetzt eine Rettungshundegruppe aufgebaut und da werden wir mal reinschauen.


    LG Terrortöle

  • Ich denke Du brauchst einen wirklich richtig guten Trainer, der Dir helfen kann dem Hund Sicherheit zu geben. Wie schon geschrieben wurde können in Eurem Fall eine suboptimale Genetik mit einer schlechten Aufzucht/Prägung zusammen gekommen sein, dazu eine schlechte Behandlung des Hundes oder gar traumatische Erlebnisse. Letztere können auch auf andere Hunde bezogen sein. D.h. ein schwerer Beißvorfall, in dem der (möglicherweise noch sehr junge Hund) Todesangst hatte, kann sich später durchaus auch in so einem Verhalten zeigen.


    In welchem Bereich wohnst Du denn? Ich kenne nicht viele Trainer, die ich in so einem Fall empfehlen könnte. Aber viellecht lebst Du ja in der Nähe eines solchen.

  • Herzlich Wilkommen im Forum.

    Ich finde es toll, dass ihr Leo bei euch aufgenommen habt und euch einem so einschneidenden Problem annehmt.

    Ich stimme den anderen zu, dass ihr eine/n Fachfrau/mann zu rate ziehen solltet. Der aktuelle Zustand stresst Leo sicher sehr und das ist nicht schön und kann auf Dauer auch gesundheitliche Auswirkungen für ihn haben.

    Ich hoffe sehr, dass dir Waschbär jemanden empfehlen kann.